Eine exemplarische Geschichte:
Bami stammt aus einer großen Familie im Dorf Souri ca. 100 Km von Bobo Dioulasso entfernt, der zweitgrößten Stadt in Burkina Faso. Die Familie besitzt eine Farm, züchtet Tiere und betreibt Ackerbau, sie sind nicht im eigentliche Sinne arm. Bami war also nicht am verhungern. Sein Schicksal als jüngster von mehreren Brüdern (und Schwestern) wäre es gewesen, als Knecht zu arbeiten für die Älteren. Er wollte aber weiter zur Schule gehen und etwas aus sich machen. Eine seiner Schwestern lieh ihm etwas Geld und er machte sich auf den Weg nach Libyen.
Mit viel Glück und unter unglaublichen Entbehrungen schaffte er es auch bis dahin. Er war mehrere Male im Gefängnis, wurde seiner Sachen beraubt, wurde von den libyschen Soldaten geschlagenen und schlussendlich, wie Tausende andere in Tripolis auf ein Boot gezwungen, mit dem er dann in Lampedusa landete. Seine ursprüngliche Absicht war es aber nie gewesen, sich bis nach Italien durchzuschlagen. Das ist eine von vielen Geschichten. Es gibt andere, die ich aus Gründen der Privacy hier nicht preisgeben möchte. Der größte Teil der Flüchtlinge aus dem Fischerhaus ist aber aus prekäreren, zumeist lebensbedrohlichen, Situationen geflohen.
Aus meinem Blog, von unterwegs:
Zu Hause bei Bami
06/03/2013 Besuch bei der Familie von Bami Traoré, einem der "Vintlerbuibm" aus dem Fischerhaus.
Morgens 8:00 Uhr, Bobo Dioulasso, Burkina. Heute endlich auf dem Programm, der Besuch bei der Familie von Bami Traorè in Souri, einem kleinen Nest in der Nähe zu Malis Grenze (Sikasso). Ich starte mit Karim meinem Fahrer, mit Lassina, dem Cousin von Bami und einem ehemaligen Schulfreund von Bami. Etwas Asphalt und viel rote staubige Buckelpiste erwarten uns. Nach 100 Km und 2½ Stunden Fahrt, Ankunft in Dana. Hier ist eine von Bamis Schwestern verheiratet. Wir finden sie, überreichen ein Foto von Bami, ein paar Fanta und Cola als Geschenke, aber sie bekommt leider nicht viel mit davon. Sie leidet sichtlich schwer an Malaria, ich kann nicht helfen, habe selbst kein Malarone dabei. Ich gebe ihr ein paar Paracetamol-Tabletten und komme mir dumm dabei vor. Hier gibt es im Umkreis von 70 Km keine Klinik und die Dörfer sind ohne Strom, – nur Solarpanele liefern Strom für Radio und Fernsehen. Weiter nach Souri: die Piste wird immer holperiger und unser Nissan Allrad muss einiges wegstecken. In der Regenzeit sind diese Dörfer oft lange nicht per Fahrzeug zu erreichen.
Ankunft: Im Dorf sieht man wahrscheinlich sehr selten ein Auto und noch viel seltener einen Weißen. Ich bin eine Sensation und werde herumgereicht unter den verschiedenen Familien. Ich zeige die Fotos von Bami: Bami in Vintl mit Jacke und Schnee im Hintergrund, großes Staunen, hier hat es 43 Grad im Schatten. Ich lerne sämtliche Brüder und Schwestern kennen. Alle wollen wissen, wie es ihm geht. Ich versuche ein wenig zu erzählen von der harten Reise, die er hinter sich gebracht hat, von Entbehrungen, Fußmärschen in der Wüste, von Schlägen und Gefängnis in Libyen. Aber jetzt geht es ihm gut, sage ich und denke mir dabei, hoffentlich wird das nicht ein Anreiz für andere Jugendliche im Dorf, es Bami gleichzutun. Was es bewirkt, dass hier ein Weißer aus Europa auftaucht und vom erfolgreichen Sohn in der Ferne berichtet, – schwer zu sagen…
Bamis Mutter ist schon 2005 gestorben, der Vater fehlt mir immer noch. Er wohnt weit draußen, auf einer Farm stellt sich heraus. Also auf zum Vater; eine weitere Stunde Geholper auf ausgewaschenen Trampelpfaden. Die Hitze ist erdrückend, roter Staub überall und wo Wasser ist, prächtige Mangobäume, Zwiebel- und Tomatenfelder. Endlich Ankunft in der Dependance. Mehrere kleine Gebäude im Kreis angeordnet, viele Kühe, Ziegen und Hühner. Ein Idyll. Bamis Vater ist in ein blaues Gewand gehüllt, er wirkt schon alt, seine Augen scheinen fast erloschen und sehr lebhaft zugleich, sie durchdringen mich. Die obligatorische Fotoserie folgt, alle wollen mit aufs Bild. Die Fotos auf dem Monitor der Digicam lösen immer wieder großes Spektakel aus. Der Vater bleibt sehr würdevoll, stellt ruhig ein paar Fragen und bittet mich dann in seine Hütte. Ich weiß inzwischen, er ist ein Marabou, eine Art Gelehrter, Priester, Heilkundiger, Zauberer? Der Marabou verbindet das Wissen der Naturheiler ("Herboristes") in den alten Naturreligionen, mit dem Wissen oder Glauben des Islam. Ich bekomme ein paar Zeilen aus dem Koran vorgelesen, er nimmt meine Hand, ich bekomme eine Weissagung. Was, wird hier nicht verraten :-) In einer alten Cola-Flasche überreicht er mir eine farblose Flüssigkeit, eine Waschlotion, ich soll mich damit einreiben, bevor ich zu wichtigen Geschäftsterminen gehe oder wann immer ich wichtige Menschen treffe. Dann noch der Auftrag in Bobo Cola-Nüsse zu kaufen, als Opfergabe, ein Gebet zu sprechen und anschließend die Nüsse einem armen Jungen zu schenken. (Das mache ich am Abend dann auch so) Zum Abschied bekomme ich eine Ziege geschenkt. Ich wage es nicht, abzulehnen. Das arme Tier kommt, -drei Beine zusammengebunden-, auf die Ladefläche des Nissan. Es wehrt sich und gibt jämmerliche Laute von sich. Abschied: langes Winken.
Ich lasse eine Welt zurück, von der ich immer weniger verstehe, je mehr ich davon sehe. Klischees tauchen in meinem Kopf auf, vom armen aber glücklichen Afrikaner, im gleichen Moment wird mir die Plattheit des Gedankens klar. Afrikaner leiden genauso wie wir, (oder wie die Ziege auf der Ladefläche) aber sie jammern weniger und wenn es auch nur für kurze Zeit Anlass gibt, glücklich zu sein, dann sind sie es – überschäumend. Wir rufen Bami an zu Hause in Vintl, er freut sich sehr, die Verbindung ist schlecht.
Zurück in Bobo: Ich frage Karim, den Fahrer, was mit der Ziege? Ich will sie einer armen Familie schenken. Er, ganz Schlitzohr, will das für mich erledigen und mich im Hotel abladen. Klar, er will dieZiege selbst behalten. Ich bestehe darauf, mitzukommen zur vermeintlichen Familie und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als mich mitzunehmen in ein düsteres Viertel von Bobo. Die Familie ist wirklich arm, – kein Strom auch hier. Vater und ältester Sohn sind wohl auch eine Art Islam-Gelehrte, aber wie üblich, viel zu viele hungrige Münder. Ich verstehe nicht ganz, was abläuft, es ist dunkel, nur unsere Handys geben ein wenig Licht. Die Ziege ist sehr, sehr willkommen. Ich soll mich hinsetzen und bekomme meine zweite Prophezeiung heute:
Alles wird gut.