Agbobloshie hat zwar nicht direkt mit einem der Flüchtlinge aus dem Fischerhaus zu tun, ich war aber hier, um zu zeigen, wie prekär die Lebensumstände selbst in einem relativ reichen Land wie Ghana sein können. Aus dem armen Norden des Landes strömen junge Männer in die Stadt auf der Suche nach Arbeit und Auskommen und landen hier.
Da die Ausstellung hauptsächlich an Schulen gezeigt wird, wollte ich auch einen kleinen Denkanstoß zu unserem Konsumverhalten geben, z.B. ob es wirklich jedes Jahr das neueste Handy sein muss, um glücklich zu werden.
16/03/2013 - Accra - Agbogbloshie
Es ist Samstag, die Fahrt nach Agbogbloshie geht quälend langsam. Heute ist Markttag in dieser Suburb von Accra. Kofi, mein Fahrer schiebt unser Taxi geschickt und mit notorischer Gelassenheit durch das Gewühl.
Meterhohe Warenstapel auf Frauenköpfen balanciert, spielende Kinder auf Fahrradskeletten, Teenager und ihre chinesischen Motorroller, Männer zerren an großen Handkarren mit Bergen von Kokosnüssen und Maniok drauf, alles wuselt und wimmelt regellos durcheinander und doch, irgendwie findet jeder seinen Kurs.
42 Grad, es riecht nach Urin, Fisch und Früchten, es riecht verbrannt, es ist sehr sehr laut, der Schweiß rinnt und ich meine, für soviel Input sind die Sinne nicht geschaffen, doch es kommt mehr...
Endlich erreichen wir die Korle-Lagune. An zwei verschiedenen Flussbetten nacheinander liegen zwei Mülldeponien. Ich besuche beide. Mein Ziel aber ist "Sodom und Gomorrha", wie der Platz hier auch genannt wird, eine spezielle Deponie für Elektronikschrott. Es handelt sich um alte Fernseher, Computer und Haushaltsgeräte zumeist aus Europa die hier "recycelt" werden. Die Zustände sind unbeschreiblich. Seit Jahren sind die Missstände bekannt, es gibt Dokumentationen der BBC und von anderen Fernsehstationen in Europa, die das schmutzige Geschäft anprangern, aber es geht weiter; zu profitabel ist es, die alten Geräte hier los zu werden, anstatt sie in Europa einer geregelten Entsorgung zuzuführen.
Nach wie vor kommen täglich Container mit Altgeräten, getarnt als funktionierende Gebrauchtapparate, im Hafen von Accra an. Der Export von Schrott ist schon längst gesetzlich verboten, das stört die kriminellen Unternehmer aber nicht, die Strafen und das Risiko erwischt zu werden sind zu gering.
Was hier geschieht mit den alten Geräten ist einfach erklärt: Meistens durch Verbrennen, versuchen die Menschen an die Wertstoffe, Kupfer, Aluminium und Eisen zu kommen, die sie dann für Spottbeträge verkaufen.
Die meisten Bewohner sind nett, lächeln mir zu, Kofi hilft mit Übersetzen und Kontaktaufnahme. Ich wurde gewarnt, viele der Jungen seien auf Drogen und aggressiv. Ich kann das nur für einige wenige Ausnahmen bestätigen. Die meisten Menschen sind trotz der wüsten Umstände, in denen sie leben, sehr sehr nett. Ismail Mohammed, ein junger Mann aus Tamale (Nordghana) begleitet uns. Die meisten hier sind aus dem armen Norden Ghanas und versuchen in der Grossstadt Fuß zu fassen, eine neue Existenz zu gründen. Ghana ist ein reiches Land, aber wie so oft, ist der Reichtum sehr ungleich verteilt.
Nach drei Stunden ist mein Rundgang beendet, ich fühle mich innen und außen beschmutzt, nicht nur wegen der Gase, die ich eingeatmet habe. Ich fühle mich schuldig, weil ich jetzt in mein Taxi steige und in mein komfortables Hotel zurückkehre. Ismail Mohammed bekommt die neuen Gummistiefel, die ich eigens gekauft hatte, um meine weißen Füße zu schützen, er bekommt außerdem 15 € und ist überglücklich. Er wird hierbleiben mit den Anderen, hier arbeiten, essen, schlafen, vielleicht Kinder zeugen, mit Sicherheit krank werden, wahrscheinlich wird er jung sterben.