"Ad Agadez uomo mangia uomo"
--Zitat von meinem Freund Ousmane Sidibé
Aus meinem Blog auf Wordpress, von unterwegs: Seit drei Tagen bin ich nun in Agadez. Ousmane ist hier 2010 durchgekommen; viel hat sich seit dem nicht geändert. Agadez hat keinen normalen Tourismus mehr. Aus Angst vor Rebellenaufständen haben die meisten Europäer die Stadt verlassen. Mich eingeschlossen, habe ich bis jetzt ganze drei Weiße gezählt im Ort.
Dafür gibt es aber eine Reisebranche der anderen Art. Jeden Tag kommen um die 150 neue Aventuriers hier an. Junge Männer aus Mali, Ghana, Burkina Faso, Nigeria, Kamerun u.a. die ihre Heimatländer aus blanker Not verlassen.
Von hier aus wird der Transport durch die Wüste organisiert. Es ist eine äußerst lebhafte und lukrative Branche. Jeder Flüchtling zahlt für den Transport durch die Wüste 135.000 CFA (205 €) bis El Gatrun in Libyen. Insgesamt kostet die Reise jeden dieser Flüchtlinge 400-500 € bis sie angekommen sind in Tripolis, Misrata, oder wo sonst in Libyen sie hin wollen. Wer dann auch die Überfahrt nach Lampedusa riskiert, muss noch einges mehr einplanen.
Die jungen Männer sind die letzte Hoffnung der Familien in den Ursprungsländern. Man legt zusammen und schickt einen jungen, starken Mann auf die Reise, in der Hoffnung, er möge es schaffen in der Ferne, um dann Geld nach Haus zu schicken. Die meisten von ihnen wissen, dass sie einem extrem harten Trip entgegengehen. Viele werden unterwegs sterben. Wer vom LKW fällt auf dieser Höllenfahrt hat Pech gehabt, er bleibt allein in der Wüste zurück, – angehalten wird deswegen nicht. „Warum?“, frage ich immer wieder und bekomme als Antwort: „Zu Hause habe ich keine Chance, ich werde so oder sterben, also versuche ich mein Glück… lieber in Libyen sterben oder in Europa als zu Hause…
Viele schaffen es erst gar nicht bis in die Wüste Richtung Bilma und Dirkou, denn die Aventuriers, wie man sie hier nennt, werden gnadenlos ausgenommen. Auch in dem Bus mit dem ich von Niamey hierher gekommen bin, waren 12 Männer aus Ghana und Nigeria. Sie wurden am Ortseingang von der Polizei herausgefischt und abkassiert. Ich habe mir sagen lassen, üblich sind 15.000 CFA bei Ankunft und 35.000 CFA beim Verlassen des Ortes. Es ist nicht so, dass alle Nigrer hier mit diesem Verhalten der Polizei einverstanden sind, aber es scheint eine allgemeine Übereinkunft darüber zu bestehen, dass wer das Geld für so eine Reise aufbringen kann, auch was im Ort zurücklassen muss. Niger ist ein Land mit einer durchschnittlichen Geburtenrate von 7 Kindern pro Frau. Ein durchschnittliches Monatseinkommen eines Arbeiters beträgt ca. 30.000 CFA, (45 €) – so er überhaupt Arbeit findet.
Die Flüchtlinge werden nach Nationalität getrennt in verschiedenen „Ghettos“ (ja, so werden sie genannt) untergebracht. Ziemlich üble Absteigen, meist ohne irgendwelche sanitäre Anlagen, es riecht streng, – hier warten die Männer, bis sich ein Transport aufmacht, oft eine Woche oder auch mehrere. Die Betreiber dieser Ghettos sind häufig Bewohner von Agadez, für die es ein gutes Geschäft ist, diese Unterkünfte zu anzubieten. Es gibt aber auch regelrechte "Reisebegleiter" die die Flüchtlinge z.B. aus Ghana hierherbringen und in diesen Orten unterbringen, – organisiertes Reisen der anderen Art…
Neuerdings schließen sich die Trucks zu Verbänden zusammen und starten gemeinsam mit einem Konvoi des Militärs in die Wüste – immer montags. Seit die verschiedenen Rebellengruppen in Mali unterwegs sind und seit der Militärpräsenz der Franzosen dort, herrscht auch hier Angst vor Überfällen und Entführungen. Auch ich darf das Stadtgebiet nicht verlassen. Mittlerweile kenne ich jeden wichtigen Mann im Ort; durch einen glücklichen Zufall habe ich einen Mitarbeiter der Vereinten Nationen kennengelernt, der mir Tor und Tür geöffnet hat. Außerdem bin ich in Kontakt mit den Mitarbeitern von HELP e.V. einer deutschen NGO, die mich begleiten und mir behilflich sind, wo es geht. Sie betreiben ein Hilfsprojekt, das es kriegsvertriebenen Bewohnern von Agadez ermöglicht, eine neue Existenz zu gründen.
Morgen werde ich Flüchtlinge treffen, die aus Libyen ausgewiesen wurden, die Reise durch die Wüste ein zweites Mal überlebt haben und dann wieder hier stranden. Sie sind die allerärmsten: Nicht nur, dass sie hier festhängen ohne jegliche Mittel und nicht mehr vor und zurück können, auch die Schande lastet auf ihnen, dass sie es nicht geschafft haben, einen Job in Libyen zu finden und ihre Familien zu unterstützen. Es ist schwer, das alles anzusehen, so viele hier brauchen Geld und Unterstützung, inzwischen frage ich schon gar nicht mehr nach ihren Namen.
In der Zwischenzeit war ich auch noch in einem Ghetto mit Nigerianern. Hier habe ich zum ersten mal auch Frauen gesehen, die sich auf die Reise machen wollen. Sie schlagen sich als Prostituierte durch. Auch das ist eine Seite von Agadez: Allah ist allgegenwärtig. Den ganzen Tag und an allen Ecken der Stadt wird man eingedeckt mit lautstarkem Gebet von verbeulten Blechlautsprechern verstärkt, angebracht an jeder Moschee, - daneben Prostitution und Alkohol, nicht besonders gut versteckt.